Serie Coaching-Tools, Nr. 1: „Lösungsmatrix“

Vierfelderernte

Immer geht es in einem Coaching wohl um die Gewinnung einer Problemlösung. Oft setze ich dazu an einem bestimmten Punkt im Prozess die sogenannte Lösungsmatrix (nach Pallasch/Peterson 2005, S. 128 ff.) ein. Das Werkzeug ermöglicht die Exploration nicht nur der „äußeren“ Faktoren, sondern vor allem auch der „inneren“ Bedingungen, unter denen für den Klienten eine Veränderung vorstellbar ist

Formal handelt es sich um ein Quadrat, das in vier Felder unterteilt wird. Die Abfolge der Bearbeitung dieser Felder ist frei, aus meiner Erfahrung hat sich jedoch die unten gewählte Reihenfolge der „Vier-Felder-Wirtschaft“ ´bei dieser hochwirksamen Methode bewährt.

Felderbewirtschaftung zur Erntezeit.

Das erste Feld
Zunächst werden alle erdenklichen Wunsch-Visionen – vom Headhunter-Angebot der Traum-Stelle bis zum Feen-Geschenk des aller Lasten ledig machenden Lottogewinns – im ersten der vier Felder auf einer Flipchart notiert: Alles ist erlaubt, die Gedanken sind frei! Diese Sammlung von (gerade bewusst auch unrealistisch anmutenden) Optima stellt das Feld der idealen Lösungen dar.

Darin offenbaren sich spontan die Indikatoren für jene verborgenen bzw. oft lange unterdrückten existenziellen Bedürfnisse, deren künftige Erfüllung durch eine Veränderung diese überhaupt erst attraktiv erscheinen lassen, etwa

  • das Streben nach Sicherheit – oder Freiheit und Selbstbestimmung,
  • der Wunsch nach sozialem Kontakt im quirligen Team – oder einer hochkonzentrierten kreativen Arbeit im Homeoffice,
  • der Ansporn durch Anforderung und der damit verbundenen Wertschätzung des Vorgesetzten – oder das Nachlassen von existenziell empfundenem Druck, der das eigene Potenzial erst freisetzen würde…

Als Coach arbeite ich mit dem Klienten in dieser Phase auch mit Träumen, begleite ihn in Luftschlösser und auf Phantasiereisen, die ich als sogenannte „projektive Methoden“, zu denen auch Rollenspiele gehören können, einsetzen kann.

Das zweite Feld
Im folgenden Schritt werden die denkbaren äußeren Lösungen ermittelt und im zweiten Quadrat der Matrix notiert:

  • die erstmals systematische Auswertung von Stellenangeboten auf einschlägigen Job-Portalen,
  • die Versetzung im Konzern auf eine andere Position, vielleicht in einer anderen Stadt.

Klient und Coach reden hier über alle Lösungen, die im Prinzip „machbar“ wären. Stimmig muss hier noch gar nichts sein: Auch in dieser Phase ähnelt das Vorgehen dem eines klassischen Brainstormings, noch wird keine Option abschließend diskutiert oder bewertet.

Das dritte Feld
Hier kommen nun die sogenannten inneren Lösungen in den Blick und werden entsprechend im dritten Feld der Matrix gelistet:

  • eine Veränderung der eigenen Haltung,
  • die Einnahme einer neuen Sicht auf die Dinge,
  • der „Waffenstillstand“ mit sich selbst, wenn der Kampf mit den äußeren Umständen zu keinem Sieg führen kann.

Denn um es ganz klar zu sagen, es ist in praktisch allen Fällen ja die Härte der Realität, die Unveränderbarkeit von Rahmenbedingungen, die „normative Kraft des Faktischen“ (Ernst Jellinek), die bisweilen die innere Lösung erzwingt oder zu erzwingen scheint: Welche besondere Verantwortung der Coach bei der Ermöglichung dieser feinen Unterscheidung gegenüber dem – druckbelasteten – Klienten hat, werde ich folgend ausführen.

Der Zaun ist dicht: innere Lösung (Verzicht) – oder äußere Lösung (Kneifzange)?!

Das vierte Feld
Nun wird der Versuch unternommen, unter Abwägung aller Aspekte, zu einer (von vielleicht mehreren) realen Lösungen im vierten Quadrat zu gelangen – im besten, mithin angestrebten Fall zu der realen Lösung, hier darum nur ein Beispiel:

  • Die Grundsatzentscheidung für einen Stellenwechsel von der Führungs- auf die Fachebene – bei Inkaufnahme einer Absenkung des Einkommens – wird gefasst, aber bis zu dem Zeitpunkt aufgeschoben, an dem die Finanzierung des Studiums der Tochter (in knapp einem Jahr) endet:
  • Dieser Zeitraum wird nun proaktiv genutzt, um planvoll an die Sondierung des Stellenmarkts und konkret an die Bewerbungen zu gehen.
  • Zugleich konzentriert sich die Klientin im Job auf die solide Erfüllung ihrer Aufgaben, ohne an vorderster Front weiter für das neue Projekt zu kämpfen, um das es mit der Bereichsleitung bisher zu keinem Konsens kam.

In aller Regel wird es sich bei der realen Lösung um einen Kompromiss zwischen „Ideal und Wirklichkeit“ handeln, um es einmal mit Kurt Tucholsky zu sagen. Diese aber wird ohne eine Berücksichtigung der anfangs benannten Indikatoren, das heißt ohne eine, wie auch immer „von Null bis Zehn“ skalierte Befriedigung der vitalen existenziellen Bedürfnisse des Klienten, der Kundin, nicht tragfähig sein.

Drei Pflichten bei der Feldarbeit:
Werte-Orientierung, Tool-Reflexion, Unabhängigkeits-Erklärung

Nicht selten konzentriert sich in einem Coaching bei der Arbeit mit der Matrix der Fokus besonders auf jenes dritte Feld der inneren Lösungen, bevor – von hier aus – eine Annäherung an reale Lösungen gesucht wird. Durchaus heikel kann sich da die Arbeit auf diesem Weg für den Klienten auswirken, falls dem ihn (oder sie) begleitenden Coach

  • die eigene Werte-Orientierung seines Handelns fehlt – und er
  • die kritische Reflexion seiner „Tools“ unterlässt – oder er
  • die ökonomische Unabhängigkeit vermissen lässt.

Der Missbrauch von Coaching

Die Rede ist hier vom Missbrauch von Coaching als einer angewandten „Kultur-Technik“, Menschen durch Fremd- und (Anleitung zur) Selbst-Optimierung immer nur tiefer in heillose Anpassungsprozesse einer Maximierung und Beschleunigung und der Selbst-Ausbeutung zu treiben – wie zugleich in eine zu frühe Kapitulation vor dem scheinbar Faktischen, die sich zeitgeistig-achtsam als „Akzeptanz“ tarnt.

In seinen Minima Moralia spricht Theodor W. Adorno – in einer Auseinandersetzung mit Nietzsches Imperativ des amor fati („du sollst dein Schicksal lieben!“, Epilog der Götzendämmerung) – von einer „Schmach der Anpassung“, die „dem Wunsch Wirklichkeit zuschreibt und dem Widersinn des Zwangs Sinn“ (S. 123): Präziser lassen sich die Gefahren einer durch Coaching begleiteten Verhandlung mit sich selbst für den Klienten im inneren Ringen um reale Lösungen durch Um- und Neudeutung kaum benennen.

Coaching: ein emanzipatorischer Prozess!

Meine Haltung, meinen Denkansatz und meinen Handlungsanspruch formuliere ich daher Kunden gegenüber stets in einem Satz: Ich begleite Sie als Coach in einem emanzipatorischen Prozess, Erkenntnis fördernd, Ressourcen hebend, Freiheit suchend.

Aussicht auf Freiheit – Alm oder Gipfel? Egal wo, Hauptsache selbst gewählt!

Dazu gehört vor allem auch, wenn im Prozess des Coachings ein Dritter (ein Arbeitgeber, der das Coaching bezahlt) beteiligt ist, eine kompromisslose Unabhängigkeit: Seriöse Coaches lehnen manipulative und verdeckte Aufträge oder die unterschwellige Delegation von Führungsaufgaben ab – egal, wie gut sie auch bezahlt wären.

Wo für den Klienten die wahre Freiheit auf der Suche nach neuen Möglichkeitsräumen (die sich gerade auch durch das gemeinsame Betreten von Kompetenzräumen der Philosophie, der Kunst, der Literatur eröffnen können) am Ende zu finden ist, lässt sich durch keine „Matrix“ vorschematisieren, darin liegt ja der Reiz der Sache!

www.menne-coaching.de


Günter A. Menne M.A. | Zertifizierter Senior Coach im Deutschen Bundesverband Coaching e.V.