Ethik-Coaching: ein Standpunkt.
„Manager müssen in ihren Entscheidungen zwischen moralischen und ökonomischen Überlegungen abwägen“, sagte der Wirtschaftsethiker Jörg Althammer schon 2009 im Interview im der >ZEIT. Titel wie „Ethik für Manager“ von Rupert Lay, Jesuit, Philosoph und Managementberater, gehören seit Jahrzehnten zu den Klassikern der Wirtschaftswerteliteratur. Jüngere Ereignisse wie die Bankenkrise und der VW-Abgas-Skandal, aber auch die Debatte um Boni und Manager-Jahresgehälter in Höhe des mehr als Tausendfachen eines durchschnittlichen Facharbeitereinkommens halten das Thema „Ethik“ im Kontext „Wirtschaft“ aktuell in der Diskussion. Zahlen über die konkrete Nachfrage nach „Ethik-Coachings“ für Führungskräfte sind schwer zu ermitteln. Fest steht, dass auch immer mehr Coaches das Angebot in ihren Portfolios ausweisen, doch:
Was genau ist unter einem „Ethik-Coaching“ zu verstehen?
Notwendig ist zunächst die Unterscheidung der Begriffe Moral, Ethos und Ethik. Sie gehen nämlich im allgemeinen Sprachgebrauch oft durcheinander. Nach einer Definition des Theologen, Philosophen und Coachs Dr. Martin Thomé, Siegburg, ist unter „Moral“ die Bezeichnung für ein Regelwerk sittlicher Forderungen, Vorschriften und Normen zu verstehen. Der Begriff „Ethos“ (von griechisch „Heimat, Aufenthalt, Sitte, Gewohnheit) hingegen bezeichnet das, was gemeinhin unter dem Terminus „Tugend“ verstanden wird. „Ethik“ bezeichnet „primär das Nachdenken über menschliche Lebensgestaltung, die systematische Reflexion der Moral und des sittlichen Verhaltens insgesamt“, so >Martin Thomé griffig.
Und solches Nachdenken – wer wollte das bestreiten? – sollte doch unbedingt zum intellektuellen Rüstzeug von Führungskräften in allen Wertschöpfungskontexten unserer Gesellschaft gehören: Die Reflexion von Werten bildet letztlich das Fundament allen – nachhaltigen – wirtschaftlichen Erfolgs! Darin bin ich mir mit Jörg Althammer, Rupert Lay einig – und das ist auch (in diesen imagebelastenden Zeiten…) der momentan von den PR-Abteilungen aller großen Konzerne öffentlichkeitswirksam verlautbarte Konsens.
Nach meinem Dafürhalten sollte sich ein Ethik-Coaching aber dadurch auszeichnen, dass darin Moral (also das Regelwerk der an mich gerichteten Forderungen, Vorschriften und Normen, dem ich mich am Arbeitsplatz unterwerfe) und Ethos (also der durch Sitte und Gewohnheit geprägte „Aufenthaltsort“, an dem in meinem Unternehmen beheimatet bin) von mir selbst kritisch hinterfragt werden können und dürfen.
Nicht selten offenbaren sich in einem „normalen“ Coaching persönliche Krisen von Führungskräften, wenn die Frage nach Haltung, Werten und der Richtschnur (sich selbst und anderen gegenüber) verantwortlichen Handelns plötzlich in den Vordergrund tritt. Bisweilen ist das der Fall, wenn es zu einer Differenz zwischen der in einem Unternehmen geübten Praxis und den eigenen Werten kommt. Oft kann diese aber erst so klar benannt werden, nachdem sich zunächst Oberflächen- und „Stellvertreter“-Themen als solche erwiesen haben. Das ist der Punkt, an dem jedes Coaching in ein Ethik-Coaching münden kann.
Ein anderes Moment ist das Erleben eines Verlustes von Sinn in der Arbeit. Für denjenigen, der bisher ganz (und fraglos) in seiner Berufswelt aufging, stellt sich ja in aller Regel „weder die Frage nach dem Sinn von Sein noch nach dem Sein des eigenen Lebens. Es ist [manchmal] erst die konkrete Erfahrung eines Sinnverlustes […], die für das besorgende Dasein [um es mit Worten des Philosophen Martin Heidegger zu sagen] die Frage nach dem Sinn von Sein und nicht zuletzt dem Sinn der eigenen Existenz hervorruft: Wozu das alles? Warum bin ich überhaupt hier?“ (Wolfram Eilenberger, Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919-1929, Stuttgart 2018, S. 265). Welche Wirkung zeitigt mein Tun? Welchen Wert hat mein Handeln für mich und andere?
Jetzt rücken Fragen – oft erst vom Ende her gestellt: „Was, wünsche ich mir, wollte mein bester Freund an meinem Grab über mich und mein Leben sagen?“ – nach existenziellen Perspektiven in den Mittelpunkt. Impulse aus Philopsophie, Literatur und Kunst können dann in einem Coaching Ausblicke auf Horizonte öffnen, vor denen das aktuelle Problem im Spannungsfeld „Mensch-Arbeit“ eine neue, eine unerwartete Deutung erfährt. Auf diese Weise tritt der Klient in einen emanzipatorischen Frageprozess der Selbsterhellung, an dessen Ausgang eine (unter mehreren Möglichkeiten in einer bestimmten Situation) getroffene Wahl entweder verworfen oder im Sinne einer nachvollzogenen Entscheidung bestätigt wird – für die und für deren Folgen er jetzt die Verantwortung übernimmt.
So wird ein – in diesem Sinne definiertes – Ethik-Coaching für Führungskräfte zu einer eminent persönlichen Angelegenheit. Es unterscheidet sich damit fundamental von so manchen, sagen wir: „Fortbildungen“ in Sachen Compliance oder sogenannten „Coachings“ in Fragen einer bloß zeitgemäßen kulturellen Correctness mit dem Ziel, ein erwünschtes Verhalten der Führungskraft oder dem Mitarbeiter anzutrainieren.
So betrachtet, weist schon das eingangs zitierte Postulat des Wirtschaftsethikers Jörg Althammer, nämlich der Notwendigkeit einer „Abwägung“ von Manager-Entscheidungen „zwischen moralischen und wirtschaftlichen Überlegungen“ auf eine immanente ethische Problematik unseres Wirtschaftssystems hin, welche für die im System agierende Führungskraft zum persönlichen Dilemma – und damit zum Anlass eines Ethik-Coachings werden kann.
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Günter A. Menne M.A. | Zertifizierter Senior Coach im Deutschen Bundesverband Coaching e.V.