Kirche 2021: Sterben und Auferstehung

Die beiden großen Kirchen in Deutschland „[…] haben im Jahr 2020 erstmals insgesamt mehr als 500.000 Mitglieder durch Austritt verloren. Zusammen gehören [damit noch] 52,1 Prozent (43,3 Millionen) der 83,1 Millionen Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen an. Zählt man Orthodoxe (letzte Angabe: rund 1,5 Millionen) und Mitglieder anderer christlicher Gemeinschaften (rund 900.000) dazu, liegt der Anteil der Christen bei 55 Prozent, 2018 betrug er 56 Prozent“ meldete die Katholische Nachrichtenagentur (KNA).

„‚An den heute vorgelegten statistischen Zahlen 2019 gibt es nichts schönzureden‘, kommentierte der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing“ – zitiert auf > katholisch.de. Da heißt es weiter: „Die hohe Zahl der Kirchenaustritte zeige, dass die Entfremdung zwischen Kirchenmitgliedern und einem Glaubensleben in der kirchlichen Gemeinschaft noch stärker geworden sei.“ Auch der EKD-Ratsvorsitzende lässt sich in dem Beitrag zitieren: „‚Die Gründe für die zuletzt erhöhten Austrittszahlen will die evangelische Kirche in einer eigenen Studie erforschen‘, kündigte […] Heinrich Bedford-Strohm an. Diese solle vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD (SI) durchgeführt werden und den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre in den Blick nehmen.“

Wunschbaum im Bethanien Kinderdorf Bergisch Gladbach

Im laufenden Jahr erwarte die EKD „aufgrund der Corona-Pandemie“, heißt es da, „einen deutlichen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen von – je nach wirtschaftlicher Entwicklung – zehn bis 25 Prozent.“ Die EKD habe bereits vorliegende Studienergebnisse „‚[…] sehr ernst genommen und schon vor Corona beschlossen, den Aufwand im Haushalt real um 30 Prozent bis 2030 anzupassen‘, so der Leiter der EKD-Finanzabteilung Carsten Simmer [konkret] mit Blick auf die 2019 vom Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen vorgestellte Studie, nach der die beiden großen Kirchen bis 2060 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder und ihrer Steuereinnahmen verlieren“, heißt es weiter auf katholisch.de.

Seit 1992 beobachte ich nun schon – zunächst als Leiter des Amtes für Presse und Kommunikation des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region (bis 2017) – und parallel seit Jahren nun auch als Coach und Berater von zahlreichen evangelischen Landeskirchen, Kirchenkreisen, Kirchengemeinden und Führungspersönlichkeiten diese Entwicklung, die sich als kontinuierlicher Exodus der Gemeindeglieder darstellt.

Wo liegen die Gründe für diesen Niedergang – und lässt er sich (doch, irgendwann und irgendwie …) aufhalten?

Die Tonalität der oben zitierten Statements der „Kirchenchefs“ – ein Begriff, der jetzt wieder häufig in den Medien zu lesen ist – gibt schon einen Hinweis auf eine mögliche Ursache: Der gewählte Duktus unterscheidet sich nicht von dem „allerweltlicher“ Verlautbarungen, wie sie Konzernchefs, Politiker oder Vertreter von Gewerkschaften und Parteien in ähnlichen Krisen (die ja auch ihre Organisationen betreffen) von sich geben.

Eingang „Haus 10“ im Bethanisen Kinderdorf Bergisch Gladbach

Übertroffen wird die Wirkung dieser bürokratisch anmutenden „Leerformeln“ nur noch von der Lamoryanz, mit der sich jetzt wieder manche lokalen und regionalen Größen zitieren lassen, wenn sie über ihre Pressestellen von den Tagungen der Kreissynoden (neuerdings auch via YouTube und auf Facebook und Instagram) ihre hilflosen Schwanengesänge davon streamen lassen, dass „Christus, der Herr unserer Kirche“ sein Gottesvolk schon in eine von IHM zum Besten eingerichtete Zukunft führen werde, worauf dann aber nur Haushaltszahlen, Gremienbeschlüsse und Pläne erstaunlicher Bauvorhaben verkündet werden …

Ist denn Dorothee Sölles legendärer Satz, dass „Christus keine anderen Hände hat als unsere“ (und den Teufel tun wird, den vakanten Posten des CEO einer Firma Gott, Sohm & Co. im Handstreich zu übernehmen) vergessen – so wie auch das Diktum Karl Rahners, dass die Kirche eine mystische sein wird „oder sie wird nicht mehr sein“? Sollen es wirklich zwei oder drei weitere religionssoziologische Studien, ein neuer Antritt zu einer kirchlichen Sprachreform („dem Volk aufs Maul schauen“) oder die x-te Werbekampagne richten?

Wer den vielbeschworenen „Markenkern“ dieser Kirche (egal, welcher Konfession) erleben und spüren will, der besuche vielleicht einmal eine der Messen im Bethanien Kinderdorf Bergisch Gladbach, gehalten von dem Kölner Weihbischof Ansgar Puff in der von Gottfried Böhm erbauten Kirche dieser Einrichtung, wo die, von der Kraft der Eucharistiefeier „beseelte“ Einheit von Sagen und Tun mit Händen zu greifen ist und jedem und jeder, der (oder die) in jener Anwesenheit, die sich dort ereignet, mit anwesend ist, im eigenen Herzen aufgeht.

In Musik und Meditation entfalten sich sowohl innere als auch zwischenmenschliche Räume, die virtuell via Zoom oder MS-Teams am buchstäblich vereinzelten Notebook nicht allein zugänglich sind, sondern nur in der realen, analogen Begegnung erfahrbar werden: ein Irrtum, der in diesen Wochen als solcher nicht erkannt, sondern als eine, sich Corona verdankende „innovative Möglichkeit“ vielerorts von Theologen im Pfarrdienst begeistert gefeiert wird: das Sakrament der Eucharistie oder das Abendmahl lassen sich nicht im Internet verwalten und verabreichen …

Doch nicht allein in Bethanien „ereignet“ sich – für Gemeindeglieder und Suchende ohne formelle Mitgliedschaft – in dieser Weise erlebbare Kirche, sondern überall dort, wo Menschen sich, so sagt es Meister Eckart: der „eingegossenen Beschauung Gottes“ (mystisch) im Ritus und in einer persönlichen Übungspraxis öffnen UND einander in Liebe, in gelebtem Alltag und Dienst, zuwenden.

Kirche in ihrer hiesigen dreifachen Gestalt – als Institution, als Organisation und als Gemeinschaft (wie Annegret Böhmer und Doris Klappenbach sie beschreibend unterscheiden) – wird als solche sterben oder auferstehen nach genau dem Maß, wie sie diese Öffnung und Zuwendung von Menschen fördert oder hemmt.

In der Förderung dieser Orientierung aber liegt, mehr denn je, die Verantwortung aller, die (nicht nur als „Chefs“) in den Kirchen heute Verantwortung tragen – und auch aller Berater, die zur Mit-Wirkung an der Förderung dieser Orientierung berufen sind.

Günter A. Menne M.A. | Zertifizierter Senior Coach im Deutschen Bundesverband Coaching e.V.