Die Qual der Wahl
Ein klassisches Coaching-Thema – die Qual der Wahl, sei es einer neuen Arbeitsstelle oder der Wechsel vom Status des Experten in eine Führungsposition im angestammten Unternehmen … Wie aber nähere ich mich einer Entscheidung an, die auch trägt? Denn eine Entscheidung zu treffen und mit ihren Folgen zu leben, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
Schuhe! Auch so ein Thema (denke ich nur an meine Frau) oder vielmehr: ein Problem der Qual der Wahl, das oft dadurch „gelöst“ wird, dass es ungelöst bleibt – mit der Folge, dass es irgendwann eng wird, im Schuhschrank, im Ankleidezimmer, in der Wohnung, im Haus … In meinem Fall sind es Uhren, die eine fatale Faszination auf mich ausüben, auch da bietet sich nämlich eine schillernde Vielfalt an möglichen Entscheidungen in allen Farben des Regenbogens!
Und so will ich mir den Spaß erlauben (das Weihnachtsfest naht schließlich und damit auch die neuerliche Gelegenheit, jener Faszination einmal mehr mit dem Kauf „noch eines“ Zeitmessers zu erliegen), mich dem heutigen Thema – der Qual der Wahl – auf einem luxuriösen Umweg zu nähern und mit einem Blick auf Zifferblätter, Zeiger und Unruhen darzulegen, worauf es ankommt, wenn wir (egal, ob im Beruf oder im Privatleben) eine gute Entscheidung treffen wollen, die zu uns passt und uns nachhaltig befriedigt, statt uns zu überfordern, womöglich fehlzuleiten und am Ende noch unglücklich zu machen.
Es liegt tief in unseren Genen: wir waren einmal Sammler und Jäger – auch das schon eine „steinzeitliche“ Entscheidung (der Uhrenverrückte aber wird stets beides sein und bleiben!) – und der Einfachheit halber will ich mich hier auf den Aspekt des Sammelns fokussieren, dem manche von uns, jedenfalls noch viele Baby-Boomer wie ich mit meinen inzwischen 62 Jahren, in ihrer Kindheit jener bundesrepublikanischen Sechzigerjahre vermutlich zuerst beim Sammeln von Briefmarken (wenn es nicht Matchbox-Autos oder Barbie-Puppen waren) begegnet sind.
Beim Sammeln von Briefmarken stellt sich irgendwann die Frage: nur Deutschland? Oder nur Deutschland vor 1945 – oder danach? Oder doch lieber die ganze Welt? Damals für mich als Knabe mit wenig Taschengeld zwar keine Frage, doch für ambitionierte Philatelisten mit einem gut gefüllten Portemonnaie sehr wohl: nur hochpreisige Stücke kaufen, mit Blick auf Wertanlage und Wiederverkauf? Oder lieber eine exemplarische Sammlung verschiedener Markentypen anlegen, mit dem Sammelziel einer Dokumentaion von Vielfalt?
Am Ende ist diese Frage stets auch eine Frage des Vermögens an Geld, an Zeit, an Ressourcen also, die ein Sammler (und erinnern sie sich: sammeln bedeutet auswählen, entscheiden), das ich bereit bin, für „etwas“ aufzuwenden. Mit Blick auf das Thema „Uhren“ mögen sich, nachdem wir Briefmarken und Schuhe links liegen lassen wollen, nun folgende Fragen stellen: Konzentriere ich mich auf eine Marke beim Sammeln? Oder vielleicht auf einen bestimmten Typus: nur Chronographen (das sind die Uhren mit den zwei Drückern links und rechts der Krone, das ist das Rädchen an der Seite zum Aufziehen einer Uhr, falls es sich nicht um eine Batterie betriebene Quarzuhr handelt)? Nur Einzeigeruhren? Die > gibt es wirklich! Nur Fliegeruhren, womöglich – oder doch lieber Taucheruhren?
Vielleicht richten Sie Ihre Aufmerksamkeit als Sammler*in von Uhren auch auf die verschiedenen Anlässe, zu denen Sie die guten Stücke tragen möchten? Dann brauchen Sie, je nachdem, eine Dresswatch (für die Oper), eine Businessuhr fürs Büro und gewiss eine sportliche Uhr für die bewegte Freizeit, um hier nur drei Optionen zu nennen. Manche Uhren vereinigen auch die Eigenschaften jener drei Gattungen in einem Gehäuse auf sich – das sind sozusagen die, eher seltenen, Zehnkämpfer unter den Zeitmessern …
In aller Regel aber kommen Sie beim passionierten Uhrensammeln um eine solche Entscheidung schlussendlich nicht herum, falls Ihnen nicht unbegrenzte (finanzielle und zeitliche) Möglichkeiten zu Gebote stehen. Und weil, das zeigt leider die Erfahrung, sich diese Entscheidung für eine Entscheidung meist erst dann stellt, wenn bereits etliche Käufe – und wie sich irgendwann herausstellt: auch Fehlkäufe – getätigt wurden, stellt sich damit dann konsequenterweise die Frage nach einer „Bereinigung“ der Sammlung, die ja eigentlich noch gar keine ist, sondern erst jetzt eine solche werden könnte.
Die Reduzierung von Komplexität kann also eine Entscheidung – nicht nur für den Sammler – erheblich erleichtern und entlasten, wobei sich auch dann gleich wieder ein Kosmos an Möglichkeiten eröffnen kann, ein Beispiel: Die japanische Manufaktur (ja, tatsächlich handelt es sich, was nur Eingeweihte wissen, aber kaum einer ahnt, um eine solche) > Seiko bietet – von der schlichten „Fünfer“ bis zur sündhaft teuren „Grand Seiko“ – eine schier gigantische Auswahl an mechanischen Uhren (neben unzähligen „Quarzern“, die wir hier, so wie die schon abgehandelten Schuhe und Briefmarken, keiner weiteren Betrachtung mehr würdigen wollen) und damit eine unendliche Spielwiese zum Ausleben einer horologischen Leidenschaft, vermutlich die größte Augenweide (für Enthusiasten) aller Uhrenhersteller am Markt.
Seiko begegnete ich übrigens zum ersten Mal so bewusst vor einigen Jahren am Handgelenk eines meiner Klienten. Der stilbewusste Freiberufler (Journalist und Geschäftsführer eines Redaktionsbüros) war bzw. ist mit einer Japanerin verheiratet und hatte die Uhren aus dem Land der aufgehenden Sonne dort vor Ort kennen und schätzengelernt, und zwar nicht, wie meist hierzulande, an der schnöden Theke der Uhrenabteilung eines Kaufhauses. Damit war er der Gefahr entgangen, jenem in Deutschland noch immer weitverbreiteten Vorurteil zu erliegen, bei Seiko handele es sich um eine „Billig-Marke“ allgemein minderwertiger Produkte (eben, weil sie bei uns, von den Boutiquen des Herstellers und einigen ausgesuchten Konzessionären einmal abgesehen, fast nur im Kaufhof oder bei anderen großen Ketten zu kaufen sind) – einem Klischee, dem auch ich bis zu jenem Zeitpunkt angehaftet hatte, zu dem ich jene bildschöne Automatik am Arm meines Kunden aus dem Augenwinkel bemerkte, was dann auch er bemerkte …
Begeistert löste Daniel (obwohl mit ihm nie per Du, will ich meinen Klienten hier doch einmal mit seinem Vornamen einführen, weil wir in dem Moment gleichsam vom beruflich veranlassten Coaching „ins Private“ wechselten) den Verschluss des Textilbandes seiner Seiko und legte sie mir vertrauensvoll in die Hand: „Die war gar nicht so teuer, aber sie ist einfach schön mit der sauberen Politur der Flanken und dem aufgeräumten Zifferblatt in diesem matten Schwarz, und für mich hat sie einen Wert“, meinte Daniel versonnen – womit wir schon wieder mitten im Coaching waren, wo es in dem Moment gerade um das Thema „Werte“ gegangen war!
Tatsächlich ist im Falle einer Entscheidung (… nicht bloß für eine Uhr) die Frage nach ihrem Wert – und nach unseren persönlichen Werten, die den Wert einer Option, für die wir uns entscheiden wollen oder müssen, für uns bestimmen – die zentrale Ausgangsfrage, von der wir uns im besten aller Fälle jeder Entscheidung nähern sollten, wenn sie denn tragen soll. Doch wie definieren wir – zunächst – einen „Wert“?
Bei der von Daniel stolz getragenen Seiko handelte es sich um ein Modell jener schon erwähnten „Fünfer-Serie“ der Marke, die, angesiedelt im unteren Preissegment mechanischer Qualitätsuhren, für all jene, die allein Wert auf (materiellen) „Wert“ legen, wohl von vorne herein durch das Raster ihrer Entscheidung für eine – in dem Falle – sportliche Alltagsuhr fallen würde. Für andere jedoch mag eben dieses Kriterium – und jede Entscheidung sollte sich an (für uns wesentlichen!) Kriterien orientieren: für eine „preis-werte“ Uhr welche die reizvolle und damit in dem Fall eben „entscheidende“ Möglichkeit eröffnet, nicht nur eine „Fünfer“, sondern mit der Zeit für eine ganze Reihe dieser Uhren in verschiedenen Farben und Ausführungen zu erwerben, um sie passend zu einem jeweiligen Outfit zu tragen – und das zum Gesamtvolumen einer Investition, die einer einzigen „King Seiko“ einspricht (einem hochpreisigen Stück, angesiedelt an der unteren Kante jenes mit „Grand Seiko“ bezeichneten Premium-Segments der Manufaktur, für deren Exemplare Sammler ohne Probleme auch schon mal den Gegenwert eines Maserati auf den Tisch zu legen bereit sein sollen, wie man hört). Ja, auch Sorglosigkeit mit Blick auf Finanzen und Verlust kann ein wichtiges Kriterium sein!
Der private Exkurs in jener Coaching-Sitzung mit Daniel führte mich dann selbst zu einer interessanten Hinterfragung meiner Werte – bei wiederum einem Uhrenkauf nämlich, der just zu dieser Zeit anstand, weil ich (eigentlich schon seit längerem) eine hochwertige Taucheruhr für den anstehenden Sommerurlaub am Meer zu erwerben gedachte, den ich nun zum „vernünftigen“ Anlass nehmen wollte, mir etwas derart „Unvernünftiges“ zu gönnen. Denn die Modelle, die mir bis dahin vorgeschwebten, wenn ich einmal wieder, auf dem Rückweg von Kunden in der Domstadt, um an den Auslagen in den Schaufenstern bekannter Kölner Juweliere herumstrich, stammten alle aus dem Mutterland der „bekanntermaßen besten“ aller Zeitmesser, der Schweiz, und sie waren alle nicht unter zweieinhalbtausend Euro (und mehr …) zu haben, die ich tatsächlich auch diesmal, ohne mit der Wimper zu zucken, auszugeben bereit war.
Da entdeckte ich per Zufall (als ich auf den Ausgang zustrebte, nachdem ich mir in der Kurzwarenabteilung ein paar Socken gekauft hatte und bei „den Uhren“ vorbeikam) im Kaufhof in einer Vitrine jene Seiko der – bereits höherwertigen, aber noch mehr als bezahlbaren – „Prospex“-Linie professioneller Taucheruhren, die dann meine erste Seiko werden sollte. Ich mache es kurz: das Exemplar meiner Wahl stach, aus meiner Sicht, wenn ich mich denn „ehrlich machte“ – und darum geht es bei jeder guten Entscheidung: sich ehrlich zu machen und bis dahin bestehende Vorstellungen und Vorurteile in Frage zu stellen -, alle anderen Uhren aus. Nur bei dieser hier stimmte für mich einfach alles – bis auf den (vergleichsweise) niedrigen Preis von „nur“ 900 Euro, den profanen Ort, an dem das schöne Stück feilgeboten wurde und die Tatsache, dass es sich hier auch „nur“ um eine Seiko handelte …
Ich gestehe, dass am Ende auch mein Kunde, den ich sehr schätze, im Sinne eines „role-models“ in seiner stilvollen Unabhängigkeit vielleicht den Ausschlag für meine Entscheidung gab, gegen allen Snobismus und die, offenbar über Jahre hinweg gelungene Infiltration gewiefeter eidgenössischer Marketing-Strategen mit Kopf und Herz eine sowohl vernünftige als auch (das sollte sich noch herausstellen) eine leidenschaftliche Entscheidung für jene Uhr treffen konnte, die dann später meine kleine, aber immer noch wachsende Seiko-Sammlung begründete.
Schlussendlich war es eine „Werte-Frage“, aber keine Frage des Wertes (und schon gar nicht, in Unterscheidung davon, eine Frage des Preises), die ich mir zu beantworten hatte – und alles weitere folgte dann aus der ehrlichen Beantwortung dieser Frage, womit sich jene sprichwörtliche „Qual der Wahl“ glücklich erübrigte und weitere gute Entscheidungen begründete.
Dass ich Ihnen zwischen den Zeilen meiner vorweihnachtlichen Geschichte, die Sie vielleicht ja noch auf die eine oder andere Geschenkidee bringen mag, als Coach in diesem Blog noch eine andere Geschichte als nur die einer ganz privaten Uhrenleidenschaft erzählen wollte, versteht sich. Und wenn ich deren Kernsätze – mit Blick auf gute Entscheidungen und das Ende einer „Qual der Wahl“ (nicht nur beim Uhrenkauf) zum Schluss einmal zusammenfasse, dann komme ich auf die folgenden Punkte:
- Am Anfang jeder guten Entscheidung steht die Erkenntnis, dass sie – einmal getroffen – auch gelebt werden können muss, damit sie taugt.
- Eine gute Entscheidung muss wesentlich zu uns passen, wie das Armband einer Uhr ans Handgelenk: Sie darf uns – weder finanziell noch in anderer Weise überfordern, sondern muss unseren Ressourcen entsprechen. Damit setzen einen äußeren Rahmen.
- Mit jeder Entscheidung treffen – in diesem Rahmen oder Kontext – wir eine Auswahl, das heißt jedes „Ja“ ist zugleich auch ein „Nein“. Das reduziert Komplexität und fällt doch oft am schwersten.
- Um gut über diese Hürde hinwegzukommen, hilft frühzeitig eine Reflexion der eigenen Werte: die eigentliche Grundlage jeder optimalen Entscheidung!
- Bei dieser Reflexion müssen wir uns „ehrlich machen“ – und Vorstellungen und Vorurteile beherzt in Frage stellen.
- Dabei erkennen wir im besten Falle rasch die Unterschiede zwischen Preis und Wert (und das nicht nur in materiellen Fragen wie beim Kauf einer Uhr).
- Eine gute Entscheidung ist nie allein nur eine vernünftige Entscheidung, sondern – wenn sie wirklich gut ist – auch eine leidenschaftliche, die wir mit dem Kopf und mit dem Herzen treffen. Auf einer Achse zwischen diesen beiden Polen findet sich der ideale Punkt jeder Entscheidung in der Mitte.
- Zu dieser brauchen sowohl der Kopf als das Herz Kriterien, die uns wichtig sind und die wir manchmal erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennen, wenn wir nach unseren Werten gefragt und uns „ehrlich gemacht“ haben.
- Dinge und Entscheidungen sind nur gut, wenn sie nicht nur nützlich sind, sondern auch schön.
- Manchmal hilft uns in unserem Entscheidungsprozess ein „role-model“ – ein Mensch, den wir schätzen und der uns ein Vorbild sein kann und uns ermutigt zu einer (von diversen „Einflüsterungen“) möglichst unabhängigen Wahl und Entscheidung.
- Eine gute Entscheidung wird in aller Regel weitere gute Entscheidungen nach sich ziehen.
Und manchmal hilft auch ein Coach (er muss übrigens keine Seiko am Handgelenk tragen, ja nicht einmal überhaupt eine Uhr) dabei, einen profunden Entscheidungsprozess zu gestalten, an dessen Ende (nein, nicht der Coach, das wäre ein Irrtum, sondern) der Klient oder die Klientin IHRE Entscheidung treffen und damit für ihr Ergebnis die Verantwortung übernehmen.
Eine gute Nachricht zuletzt: jede Entscheidung kann – durch eine neue Entscheidung – aktualisiert werden. Das aber ist etwas anderes als das „on-off-on“ eines Wackelkontakts zwischen Entscheidung und Entscheider*in. Nur wer (sagen wir eine Uhr …) besitzt, kann sie auch wiederverkaufen – doch eben genau das ist jederzeit möglich! Das weiß natürlich auch jeder Uhrensammler: Erst mit der Erfahrung werden „Fehlkäufe“ rarer – und glücklich derjenige, der sich ganz am Anfang mit den Prinzipien des Sammelns, sprich: Entscheidens gründlich vertraut gemacht hat.
Ich wünsche Ihnen gute Entscheidungen (nicht nur beim Uhrenkauf oder natürlich auch im Schuhgeschäft …) und eine frohe Vorweihnachtszeit,
Ihr
Günter A. Menne
P.S. Diese Website wird übrigens nicht von Seiko gesponsert 😉
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Günter A. Menne M.A. | Zertifizierter Senior Coach im Deutschen Bundesverband Coaching e.V.